Videosoziologie – Audiovisuelle Kulturen der Selbstthematisierung

Das thinspo-Video

„Male Thinspiration“

Im Rahmen meines Lehrforschungsprojekts am Institut für Soziologie der TU Berlin habe ich mich mit dem thinspo-Video beschäftigt. Gibt man z.B. bei Youtube die Begriffe thinspiration oder thinspo ein, so erhält man zusammengerechnet etwa 90000 Ergebnisse1. Deutlich weniger Treffer lassen sich bei Plattformen wie Vimeo oder MyVideo verzeichnen, wo durchschnittlich nur etwa 30 Ergebnisse ausgegeben werden. Thinspiration oder auch kurz thinspo sind Begriffe, die von der Pro-Ana-Szene für Objektivationen (v.a. Bilder, Texte und Videos) geprägt worden sind, von denen, wie sie selbst betonen, eine Inspiration zum dünn sein ausgeht. Pro-Ana ist eine Bewegung von zumeist jungen Frauen, die sich – wie der Name bereits andeutet - für die Magersucht aussprechen. Die Szene agiert in erster Linie über das Internet, wo sie sich auf selbstgestalteten Webseiten und/oder in sozialen Netzwerken wie Youtube, Facebook, StudiVZ, SchülerVZ u.v.m. treffen. Auf diesen Plattformen werden Tipps und Tricks zur Gewichtsreduktion und zur Geheimhaltung des „gestörten“ Essverhaltens vor Familienangehörigen etc. ausgetauscht, Abnehmpartnerinnen (sogenannte Ana-Twins oder Buddys) gesucht sowie über das Leben mit der Magersucht gesprochen. Zu den Tricks und Tipps, die das Abnehmen fördern und erleichtern sollen, lassen sich auch die thinspos rechnen. Neben thinspo-Bildern (i.d.R. Bilder magerer junger Frauen) und thinspo-Sprüchen, den sogenannten thinlines, die vor allem auf den selbstgestalteten Internetseiten der Pro-Anas anzutreffen sind, gibt es seit einigen Jahren eine weitere Form: das thinspo-Video. Thinspo-Videos sind in auffällig redundanter Manier gehalten. In der Regel wird eine Art Diashow vorgeführt, in der zusammengesammelte Bilder von sehr dünnen Frauen (vereinzelt gibt es auch "male-thinspirations") zu Musik präsentiert werden.

Die Videos sind z.T. auch auf den Pro-Ana-Seiten selbst abzurufen; viel häufiger trifft man sie allerdings auf Plattformen wie Youtube, MyVideo oder Vimeo an. Oft gibt es auch eine thematische Rahmung der Videos, wie beispielsweise „couples thinspo“, „Mary-Kate olsen Thinspo 2" , "Real girl thinspo", „Summer Thinspo“ oder „Party Thinspo“. Die Verbreitung und Nutzung der Videos wird seit langem vom Jugendschutz beklagt. Immer wieder gibt es Versuche die Aktivitäten der Pro-Ana-Szene zu unterbinden, da in ihnen jugendgefährdendes Potential gesehen wird. Nichtsdestotrotz verbreitet sich das thinspo-Video kontinuierlich weiter und "erfreut" sich in der Szene großer Beliebtheit. Was aber macht diese Videoform, die doch so redundant daher kommt, derartig beliebt? Die Pro-Anas sprechen davon, dass von den thinspos ein „Trigger-Effekt“ ausgeht, der sie zum Abnehmen motiviert. Diese Einschätzung teilen auch Psychotherapeuten und Selbsthilfe-Netzwerke wie z.B. _magersucht.de_2, weshalb sie vor deren Betrachtung warnen. Entgegen dieser Warnungen setzten die Anas die Bilder, Texte und Videos jedoch strategisch als eine Art „reflexive Körpertechnik“ (Crossley 2004: 37) ein, mit der sie sich selbst über die Arbeit an ihrem Körper (hier die Gewichtsabnahme) gestalten wollen. Das thinspo-Video ist damit, so argumentiere ich in meiner Lehrforschung, nicht nur ein Video, sondern auch eine Körpertechnik der Selbstaffizierung, die als Hilfsmittel der Gewichtsreduktion eingesetzt wird.


  1. Youtube gibt nur eine Schätzung der Gesamtergebnisse aus, vergleiche z.B. hier 

  2. Auf der Seite magersucht.de heißt es: „Bilder oder Fotos von dünnen oder sogar abgemagerten Frauen oder Männern werden häufig von Betroffenen der Krankheit Magersucht oder Bulimie als Vorbild-Funktion benutzt und haben dadurch sogar oft motivierenden und krankheitsfördernden Charakter“.